Bericht des Junglehrers aus Hannover
1.8.2004
hallo rolf,
nun müssten auch bei euch die ferien begonnen haben ... und
damit ja auch dein ruhestand.
nun ja, die letzten 2 wochen vor den ferien waren nochmal für
mich sehr anstrengend
(projekt, 2 besuche und ein referat), sodass ich die hospitationerfahrungen
erst einmal
ziemlich ausblenden musste. nun sitze ich gerade daran, die
fotos und beobachtungen
zu einem kurzreferat für mein seminar zusammenzustellen.
was habe ich gesehen:
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naja, zunächst habe ich natürlich schon eine andere schülerlandschaft
erlebt als die,
denen ich so täglich begegne. aber darüber wollte ich
nicht nachdenken,
das muss man sehen, muss man austesten. mir ging es vielmehr um
die frage: können
bereits grundschüler ihren eigenen lernweg gestalten und damit
auch
verantwortung für sich selber übernehmen.
und genau das habe ich in den 5 tagen erlebt. schüler, die eigenständig
lernen,
manchmal sehr konzentriert, manchmal offenbar gar nicht, manchmal
alleine,
manchmal in regelrechten klumpen, manchmal totenstill, manchmal
erschreckend laut.
wurde immer gelernt ? nein ! gingen kinder der arbeit aus dem weg
?
manchmal ja ! und ?! ist es nicht im traditionellen unterricht mindestens
genauso.
lernen setzt immer ein emotionales einverständnis vorraus ...
das haben mir
bereits 6 monate referendariat vor augen geführt. erinnerungen
an meine schulzeit:
ich habe es perfekt beherrscht meiner französischlehrerin über
3 jahre
hinweg vorzuspielen, dass ich lerne - ich habe französisch
aber nie wirklich gelernt -
man hatte halt seine tricks.
offener unterricht - und das habe ich beobachtet - gestattet schülern
diese emotionale
beziehung aufzubauen, lernen vorzugaukeln ist nicht weiter nötig.
einerseits durch die freie materialwahl, aber auch durch die freie
wahl des arbeitsortes
und der sozialform sowie deine offenen arbeitsimpulse.
ich habe 3 tage lang einen sehr frustrierten alfred (Name geändert)
erlebt -
kinder, wie ich ihnen täglich bei mir in der schule begegne:
"ich hasse schule!", sagte er mir am
montag ... und dann entdeckte er am donnerstag die knete. ein paar
anregungen und
er baute über 2 tage an einer "heilen familie aus knete" (mutter,
vater,
kind). hat alfred an diesen tagen nichts gelernt, hat er nur "rumgespielt".
du hast ihn
immer wieder mal angesprochen, ob er nicht etwas anderes arbeiten
kann
- aber er wollte nicht ... und das durfte er. hätte man ihn
zu etwas anderes zwingen können ?
wäre das gut gewesen ? ich denke nicht. steckt man in den köpfen
solcher kinder ...
nun, das sind alles nur kurze ausschnitte. insgesamt war ich aber
froh, zu sehen, dass da
bei freiburg keine traumwerkstatt vorgeführt wird. nein, ich
habe normale kinder erlebt
und eine ganz normale schule. das macht mut, weil manche modernen
pädagogischen entwürfe und didaktiken kaum umsetzbar sind.
gerade jetzt habe ich ganze 3 tage an einer einzigen stationsarbeit
für ca. 3 schulstunden gesessen.
und ich habe noch eins gesehen: auch offener unterricht muss gelernt
sein. selbst 2.klässler
sind schon so in den traditionellen schulstrukturen gefangen
(das erkannte ich in deinem musikunterricht in einer "gelenkten"
klasse),
dass sie mit der freiheit nicht umgehen können.
kompetenzen für offenen unterricht: nachgeben können, sich
zurücknehmen, die anderen in
seinen vorhaben bedenken, etc... bei dir wurde kein theater für
herrn robischon gespielt (so schon zuhauf erlebt), stattdessen war
man sozial, weil man von
den absprachen selber überzeugt war. wie oft haben die kinder
selbst dir gegenüber regeln eingefordert !?!
fazit:
offener unterricht ist machbar. schüler lernen tatsächlich.
es erfordert training - viel training
und geduld. es gibt auch weiterhin leistungsstarke und -schwache
schüler ...
aber viel weniger leistungsverweigerung.
... einzig bleibt mir noch die frage, wie man mit schülern wie
alfred langfristig umgeht. gibt es
nicht auch kinder, die nur über fremdzwänge sich zu etwas
motivieren (bzw. zwingen) können. sind solche kinder vielleicht
doch
mit der situation überfordert... ?!?
darauf konnte ich letztlich noch keine antwort finden.
vieles wird sich aber erst nach meiner ausbildung realisieren lassen.
ich bin gespannt ...
vielen dank nochmal für die möglichkeit, bei dir reinzuschnuppern.
lieber gruß und noch einen schönen sommer
wünscht
g. s.
hannover |